Wildlebende Bienenvölker, die Varroa destrucor überleben

Die stabile Bienen-Milben-Beziehung der mit Varroa befallenen Völker im Arnot Forest ist offensichtlich das Ergebnis einer geringeren Virulenz des Parasiten

Weltweit werden Honigbienenvölker beobachtet, die Varroa-Befall ohne jegliche Behandlung überleben. Es handelt sich um verwilderte Honigbienen oder um Völker aus  nicht mehr betreuten Bienenständen. Sie unterlagen der natürlichen Selektion und haben nach anfänglichen hohen Verlusten ihre  Populationen wieder aufgebaut, indem sie eine stabile Wirt-Parasit-Beziehung entwickelt haben.

Thomas Seeley untersuchte wildlebende europäische Honigbienenvölker im Arnot Forest von 2002 bis 2005, die mit V. destructor befallen waren. Die meisten Völker, die 2002 aufgefunden wurden, waren 2005 noch am Leben.

Um heraus zu finden, ob die Arnot Forest-Bienen Resistenzmechanismen entwickelt hatten, wurde das Wachstumsmuster des Milbenbefalls von Bienenvölkern des Arnot Forest mit dem anderer Carnica-Bienenvölkern verglichen. Thomas Seeley entwickelte die These, dass die stabile Bienen-Milben-Beziehung im Arnot Forest auf eine geringere Virulenz des Parasiten und nicht auf eine Resistenz der befallenen Wirtsvölker zurückzuführen ist.

Honey bees of the Arnot Forest: a population of feral colonies persisting with Varroa destructor in the northeastern United States

Autor: Thomas D, Seeley, 2007, erschienen in Apidologie 38

Link zum Originaltext: https://www.apidologie.org/articles/apido/pdf/2007/01/m6063.pdf


Honigbienen im Arnot Forest: eine Population von wildlebenden Bienenvölkern in den nordöstlichen USA, die trotz Befall mit Varroa destructor überleben

Zusammenfassung von Harald Rausch

Thomas Seeley erforschte den Arnot Forest erstmalig schon 1978 auf der Suche nach wildlebenden  Honigbienenvölkern und wurde auch fündig. Das war zu der Zeit als die Varroa-Milbe noch unbekannt war.  Dann machte er sich 2002 im Arnot Forest wieder auf die Suche und eine Zählung ergab genau so viele wildlebende  Honigbienenvölker wie damals, obwohl inzwischen  Varroa destructor in Nordamerika eingeschleppt wurde. Die entdeckten acht Bienenvölker wurden dann in einem Zeitraum von Herbst 2002 bis Frühjahr 2005 regelmäßig inspiziert.

Ausgangspunkt seiner Untersuchung ist folgende Überlegung:  „Es gibt starke Hinweise darauf, dass sich in isolierten Populationen, die an mehreren Orten unter wilden oder verwilderungsähnlichen Bedingungen leben, eine ausgewogene Wirt-Parasiten-Beziehung entwickelt hat, in der sowohl Bienen als auch Milben überleben.  Es gibt auch Hinweise darauf, dass in diesen Populationen die Bienen Resistenzmechanismen entwickelt haben und/oder die Milben einen verringerten Fortpflanzungserfolg  entwickelt haben. Inwieweit diese stabilen Wirt-Parasit-Beziehungen jedoch Anpassungen auf eine Resistenz des Wirtes oder eine geringe Virulenz des Parasiten oder beides widerspiegeln, ist nach wie vor ungewiss.“

Die Untersuchung richtete den Fokus demzufolge auf folgende vier Aspekte:

 (1) gibt es eine größere Anzahl an wildlebenden Honigbienenvölker im Arnot Forest, (2) sind diese  Bienenvölker mit Varroa destructor befallen, (3) können die Völker dieser Population trotz eines Befalls mit Varroa destructor langfristig überleben und (4) wie haben diese Bienenvölker ein stabiles Parasit-Wirt-Verhältnis erreicht.  

Diese Völker im Arnot Forest waren mit V. destructor befallen und fünf der acht im Herbst 2002 gefundenen Völker waren im Herbst 2005 noch am Leben. Von den drei Völkern starben zwei im Winter 2002-2003 (die Todesursache ist unbekannt) und eine im Winter 2003-2004 (ein Sturm Anfang Oktober 2003 warf den Baum um, der das Volk beherbergte). Die beiden intakten Bäume mit den „freigewordenen Bienenbehausungen“ wurden schließlich von Schwärmen wieder besetzt, einer im Jahr 2004 und einer im Jahr 2005. So blieb diese Population wildlebender Bienenvölker über drei Jahre hinweg im Wesentlichen stabil, mit einem Verlust von nur einem Bienenvolk aufgrund der natürlichen Zerstörung eines Nestplatzes.

Um den Milbenbefall in den wildlebenden Völkern zu ermitteln wurden im Sommer 2003 fünf „Schwarm-Bienenkästen“ aufgestellt.  In drei dieser Kästen nisteten sich Schwärme ein. Bei diesen Völkern wurden über zwei Sommer die Milbenpopulationen monatlich anhand derAnzahl abgefallener Milben in der Windel überprüft.  Alle drei Völker waren mit Milben befallen, blieben aber bei schwachem bis mittlerem Milbenbefall vital.

Seeley fasst zusammen und stellt folgende Frage: „Besonders faszinierend an den im Arnot Forest lebenden Völkern ist, dass viele von ihnen (fünf der ursprünglich acht in Bäumen lebenden Völker) mehr als drei Jahre überlebt haben, obwohl V. destructor wahrscheinlich jedes in diesem Wald lebende Volk befällt (alle drei Schwärme, die sich in den Schwarm-Bienenstöcken ansiedelten, wurden von den Milben befallen). Der langfristige Fortbestand dieser Völker wirft die Frage auf, wie sie mit V. destructor überleben können.“

Darauf gibt es mehrere mögliche Antworten.  Eine davon ist, dass diese Bienen Resistenzmechanismen gegen die Milben entwickelt haben, wie z.B. das Putzen der Milben von den erwachsenen Bienen, hygienisches Verhalten, das die Milben von der befallene Arbeiterinnenbrut entfernt, oder die Hemmung der Milbenfortpflanzung auf der Arbeiterinnenbrut.

Um zu überprüfen, ob die Bienenvölker des Arnot Forest Resistenzmechanismen entwickelt haben um den Anstieg ihrer Milbenpopulation kontrollieren zu können, wurden zwei vergleichbare Gruppen von Bienenvölkern aufgestellt.  Die Gruppen bestanden  aus einem Volk mit einer Königin aus der Arnot Forest-Population und einem Volk mit einer Carnica-Königin. Beide Völker wurden jeweils mit einer ähnlichen Anzahl an Varroamilben infiziert, die aus demselben Bienenvolk stammten. Die Milbenpopulation wurde in der Folge monatlich durch Auszählen des Milbenfalls bestimmt. In allen Monaten waren die durchschnittlichen Milbenzahlen in den beiden Gruppen von Bienenvölkern gleich.  Das heißt, die Milbenpopulation wuchs in den Arnot Forest-Völkern genauso rasch an wie in den Carnica-Völkern.

Aufgrund dieses Ergebnisses vermutet Seeley: „es scheint daher eher zweifelhaft, dass die Arnot-Forest-Bienen Resistenzmechanismen gegenüber  V. destructor Milben entwickelt haben“  und kommt zu folgendem Schluß: „Für das Überleben der Bienenvölker im Arnot Forest scheint demnach eher die Evolution einer geringeren Virulenz bei den Varroa  destructor-Milben, als die Entwicklung einer Resistenz bei den Bienen  verantwortlich zu sein.“

Allgemein sollte bei Parasiten eine Evolution in Richtung geringerer Virulenz dann von Vorteil sein, wenn sie sich eher vertikal (Eltern zu Nachkommen) als horizontal (infektiöse Verbreitung innerhalb der Population) ausbreiten. Der Grund dafür ist, dass die vertikale Übertragung von Parasiten diejenigen begünstigt, die den Wirt so weit gesund lassen, dass Nachkommen erzeugt werden können. Eine vertikale Übertragung von V.-destructor-Milben findet statt, wenn ein befallenes Honigbienenvolk schwärmt und so ein Nachwuchsvolk erzeugt, das dann ebenfalls von den Milben befallen ist.  Eine horizontale Übertragung findet jedoch statt, wenn befallene Arbeiterinnen sich in nicht befallene Bienenvölker verfliegen oder wenn unbefallene Arbeiterinnen ein schwaches Bienenvolk, das von Milben befallen ist, ausrauben und diese dann in ihren Bienenstock bringen.

Zwar gibt es keinen direkten Beweis für diese geringere Virulenz der Varroa destructor-Milben im Arnot Forest, aber diese Vermutung wird indirekt durch das Fehlen eines starken Wachstums der Milbenpopulationen in den Völkern des Arnot Forest im Spätsommer gestützt. Daher kommt Seeley in seiner seine Untersuchung über wildlebenden Honigbienenvölkern im Arnot Forest zu folgenden Schluß:  

„Im Arnot Forest, wo die Bienenvölker in Waldbäumen leben, die hunderte, wenn nicht gar tausende Meter voneinander entfernt sind , ist ein Verflug der Bienen zwischen den Bienenvölkern höchst unwahrscheinlich, und auch Räuberei  kann äußerst selten vorkommen,“ demzufolge „ dürfte die Verbreitung von V. Destructor eher vertikal (durch Schwärme) als horizontal (Verflug und Räuberei) erfolgen,“ und  „wenn dies der Fall ist, dann ist zu erwarten, dass sich bei den Varroa destructor-Milben im Arnot Forest  eine Avirulenz entwickelt hat, insbesondere wenn die dort lebenden Bienen/Milben weitgehend isoliert leben  von Bienenvölkern, die von Imkern  bewirtschaftetet werden.“

Thomas Seeley: „Derzeit gibt es jedoch keinen direkten Beweis für eine geringere Reproduktion der Varroa destructor-Milben im Arnot Forest, obwohl diese Hypothese indirekt durch das merkwürdige Fehlen eines explosionsartigen Wachstums der Milbenpopulationen in den Völkern des Arnot Forest im Spätsommer gestützt wird.  Noch eine dritte mögliche Ursache für die Langlebigkeit der Arnot Forest Völker könnte mit dem häufigen Schwärmen zusammenhängen, das für wildlebende Völker an diesem Ort typisch ist.

Wenn ein Bienenvolk schwärmt, verlässt etwa die Hälfte der erwachsenen Bienen das Bienenvolk und mit ihnen geht ein beträchtlicher Teil der erwachsenen Milben, wahrscheinlich 15-20%, wenn man die Verteilung der erwachsenen Milben zwischen erwachsenen Arbeiterinnen und versiegelten Brutzellen berücksichtigt. Darüber hinaus wird nach dem Schwärmen eines Bienenvolkes zwei bis drei Wochen lang keine Brut im Bienenvolk erzeugt, und während dieser Zeit findet keine Vermehrung der Milben statt. Dennoch zeigten Studien, bei Vergleich der Milbenpopulationen von schwärmenden und nicht schwärmenden Völkern in Schweden, dass das Schwärmen die Milbenpopulationen nicht daran hinderte, auf ein schädliches Niveau anzuwachsen. Alle 150 Völker in der schwedischen Studie erhielten im Juli 1999 eine geringe Anzahl (36-89) von Milben, und innerhalb von drei Jahren waren 129 der Völker tot, hauptsächlich aufgrund der Milben, unabhängig davon, ob sie in den Sommern 2000 und 2001 geschwärmt haben oder nicht. Es erscheint daher unwahrscheinlich, dass das Schwärmen allein erklären könnte, warum viele der Bienenvölker des Arnot Forest drei Jahre ohne Kontrollbehandlungen gegen Varroa destructor überlebt haben. 

Der logische nächste Schritt bei der Untersuchung der Honigbienen des Arnot Forest besteht darin, die Hypothese, dass die Grundlage für diese stabile Wirt-Parasit-Beziehung die Entwicklung der Avirulenz der Milben ist, gründlich zu testen. Es gibt Belege, dass sich eine Avirulenz von Milben in einer isolierten, experimentellen Population europäischer Honigbienen in Österreich entwickelt hat, und es wird interessant zu sehen sein, ob dies auch im Nordosten der Vereinigten Staaten geschehen ist. Wenn dies der Fall ist, dann wird dies die Idee stärken, dass europäische Honigbienen und Varroa destructor-Milben eine stabile Wirt-Parasit-Beziehung entwickeln können.“

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